Wie ein blinder junger Mann in Osnabrück einen Ausbildungsplatz gefunden hat

Auszubildender der Handwerkskammer Marco Brontsch
Handwerkskammer

Wie ein blinder junger Mann in Osnabrück einen Ausbildungsplatz gefunden hat

Bundesweit sind 7000 schwerbehinderte Auszubildende beschäftigt. Einer von ihnen ist der 24-jährige Marco Brontsch. Nach vielen Rückschlägen hat er vor drei Monaten mit einer Ausbildung bei der Handwerkskammer begonnen.

Ein Headset auf den Ohren, den Laptop aufgeklappt auf dem Schreibtisch – wer Marco Brontsch an seinem Arbeitsplatz in der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim sitzen sieht, merkt auf den ersten Blick keinen Unterschied zu seinen Kollegen im Büro nebenan.
Erst wenn er aufsteht und sein weiß-roter Stock mit mehreren Klicks zusammenschnappt, wird deutlich: Der 24-Jährige ist sehbehindert. Seit mehr als zehn Jahren sieht er nur noch Kontraste und gilt daher als blind.

Trotzdem hat Marco Brontsch gerade seine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement begonnen – auch wenn ihm früher eine gewerbliche Ausbildung lieber gewesen wäre. „Ich wäre gerne Tischler geworden“, erzählt der Azubi und fängt direkt an zu lächeln. Das Werkstück eines Cousins habe ihn als Kind, als er noch sehen konnte, beeindruckt.

„Aber so etwas kann ich nicht mehr. Ich habe über die Jahre gelernt, dass der Computerarbeitsplatz für mich der richtige Weg ist.“

Ein Arbeitsplatz, bei dem er hauptsächlich mit der Tastatur und weniger mit der Maus arbeiten kann, mit Tastenkürzeln statt einem Klick.

Doch auch nach seinem erweiterten Realschulabschluss und der Höheren Handelsschule eine Chance zu bekommen, war für den selbstbewussten 24-Jährigen, der ohne Berührungsängste über seine Stärken und Schwächen spricht, ein steiniger Weg mit vielen Enttäuschungen. „Ich habe mich zwei Jahre lang immer wieder beworben“, erzählt der junge Mann mit den kurzen blonden Haaren.

Viele Gespräche, kein Erfolg

Vorstellungsgespräche hatte Marco Brontsch viele. Es waren auch gute Gespräche, in denen er seine Stärken vermitteln konnte, erzählt er. Dazu zählt der Umgang mit dem Computer ebenso wie eine gutes Gehör und schnelle Auffassungsgabe. Denn was seine Sprachausgabe am Rechner ihm vorspielt, hört sich für den ungeübten Zuhörer an, als wenn jemand eine alte Platte zu schnell weiterdreht, sodass die Wörter ineinander verschwimmen. Nur genommen wurde Marco Brontsch am Ende nie. Achselzuckend meint er:

„Vielleicht hatten manche Angst, andere kein Interesse.“

Woran es letztlich immer wieder gescheitert ist, weiß er nicht. „Das Feedback hielt sich in Grenzen.“

Natürlich würden da Zweifel kommen, ob man noch auf dem richtigen Weg sei, gesteht der 24-Jährige. Aufgeben wollte er aber nicht. „Die Schule und auch die Höhere Handelsschule haben mir gezeigt, dass ich es schaffen kann. Es braucht nur die richtigen Leute.“

Technik macht Strich durch die Rechnung

Nur einmal, da hätte es fast geklappt – bei Purplan in Wallenhorst. „Bei diesem Gespräch habe ich meine Schwester, die mich gefahren hat, nicht mit reingenommen. Ich wollte zeigen, dass ich selbstständig bin und mir zu helfen weiß. Ich glaube, sie waren überrascht, wie gut ich mich auch ohne Assistenz zurechtfinde“, blickt Marco Brontsch zurück. Für ihn eine Selbstverständlichkeit, schließlich hat er auch die Höhere Handelsschule in Hamburg drei Jahre lang allein gemeistert – inklusive der Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

In letzter Minute ist es dann doch nichts geworden mit dem Ausbildungsplatz bei Purplan – nicht weil sich etwa das Unternehmen es anders überlegt hatte, sondern weil die Sprachausgabe, auf die der 24-Jährige angewiesen ist, mit dem System von Purplan nicht kompatibel war. So ging die Suche für Marco Brontsch von vorne los.

Handwerkskammer sagt zu

Er versuchte es schließlich bei der Handwerkskammer – ausgeschrieben war eine Ausbildungsstelle für einen Kaufmann für Büromanagement. Fast hätte es die nächste Enttäuschung gegeben, denn gesucht wurde jemand mit Schwerpunkt Gebäudemanagement. Der Azubi erinnert sich:

„Das bedeutet unter anderem, Fenster und Böden zu kontrollieren – Dinge, die ich nicht kann.“

Doch sein Selbstbewusstsein ebenso wie seine Qualifikation und seine Geschichte haben Ausbildungsleiter Udo Sterthaus überzeugt, bei Hauptgeschäftsführer Sven Ruschhaupt vorstellig zu werden – ob es für den 24-Jährigen nicht eine andere Ausbildungsmöglichkeit gebe.

„Als Handwerkskammer haben wir beim Thema Inklusion eine Vorbildfunktion. Das heißt: nicht nur darüber reden, sondern in der Praxis auch etwas zu tun“, so Ruschhaupt. Und so gibt es einen zweiten Ausbildungsplatz zum Kaufmann – und für Marco Brontsch eine Möglichkeit, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Ich möchte genauso ein Leben führen wie meine Geschwister“, beschreibt der Neuenkirchener seinen bescheidenen Wunsch.

Normaler Arbeitstag

An den Tagen im Betrieb beginnt sein Arbeitstag um 7 Uhr – beziehungsweise 6.50 Uhr, Marco Brontsch fängt gerne früher an, um auch früh Feierabend zu machen und noch etwas vom Tag zu haben, wie er sagt. Derzeit bringt ihn ein Fahrdienst, künftig will er jedoch mit dem Bus fahren. Dafür absolviert der 24-Jährige derzeit ein Mobilitätstraining. „Das ist dann der 610er“, weiß Marco Brontsch aus dem Effeff. Allerdings würde er dann ein paar Minuten später kommen, denn der erste Bus aus Neuenkirchen sei um kurz nach 7 Uhr an der Haltestelle, rund 200 Meter von der Handwerkskammer entfernt. Für die Handwerkskammer ist das kein Problem, wie Ausbildungsleiter Udo Sterthaus unterstreicht. „Wir haben Gleitzeit.“

Etwas schwierig ist für Brontsch noch die Berufsschule zweimal die Woche – nicht nur logistisch, denn die Ampel vor der Schule selbst gibt bei Grün keine Signale. Auch das Lernen sei manchmal eine Herausforderung, gibt der 24-Jährige offen zu. Es sei eine kleine Klasse, doch auch wenn der Lehrer Rücksicht nehme – die Aufgaben würden schon recht zügig erledigt, so Brontsch.

Manchmal erschweren auch technische Dinge das Lernen wie das Zuordnen von Vokabeln im Englischunterricht. Der Azubi beschreibt:

„Ich kann das deutsche und englische Wort auf dem Arbeitszettel nicht mit einer Linie verbinden. Ich muss Variablen vergeben und die Aufgabe so auf meine Art lösen.“

Denn nicht alle Arbeitsblätter sind digitalisiert. Beim Arbeiten am PC hingegen gibt es keinen Unterschied. „Das ist für mich leichter, da sind wir auf einer Wellenlänge.“

Udo Sterthaus ist mit der Arbeit von Marco Brontsch nach drei Monaten Ausbildungszeit sehr zufrieden. „Einige technische Details müssen wir aber noch anpassen“, sagt Sterthaus. Wie einige Programme, mit denen die Handwerkskammer arbeitet, sodass sie für die Sprachausgabe von Marco Brontsch kompatibel sind. Dennoch: Seinen Alltag in der Handwerkskammer meistert der 24-Jährige sonst ohne Probleme. Die Aufzüge sind mit Punktschrift ausgestattet, die Entfernungen auf den Fluren kennt er genau. Und immer an seiner Seite ist Assistentin Tiethke vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Sie wird ihn die gesamten drei Jahre der Ausbildung begleiten. „Wenn ich zum Beispiel beim Touchdrucker was ausdrucken muss, hilft sie mir“, beschreibt Marco Brontsch.

Wie bei allen anderen Auszubildenden auch ist die Lehre des 24-Jährigen auf drei Jahre angelegt. „Das ist auch zu schaffen“, ist sich der Neuenkirchener sicher.

Neue OZ, 26.10.2019, Seite 6, Nina Kallmeier: Wie ein blinder junger Mann in Osnabrück einen Ausbildungsplatz gefunden hat