Wie steht es um das Handwerk in der Region, Herr Möhle?

Reiner Möhle
Pentermann

Wie steht es um das Handwerk in der Region, Herr Möhle?

Corona, Lockdown, Image – Ein Jahr, geprägt von der Corona-Pandemie. Ein Gespräch mit Reiner Möhle, Präsident der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim, über die aktuelle Situation im Handwerk, Lockdown und Coronahilfen, Ausbildung und das Image des Handwerks.

Ein Jahr unter dem Zeichen von Corona: Wie ist die Lage des Handwerks tatsächlich?

Wir müssen einen Spagat machen. Auf der einen Seite gibt es die Gewerke, die die Pandemie in den Büchern kaum gemerkt haben. Hier denke ich vor allem an all jene im Bau- und Ausbaugewerbe. Aber es gibt eben auch die personenbezogenen Dienstleistungen, die Kosmetiker und Friseure. Für sie sind die Bedingungen derzeit katastrophal und es sieht nicht danach aus, dass sich an ihrer Situation perspektivisch bis Ende März, Anfang April etwas ändert. Denn an den Rahmenbedingungen, der hohen Inzidenz, hat sich bislang nichts geändert, sodass über Verschärfungen des Lockdowns diskutiert wird und nicht über Lockerungen.

Wie viele Handwerkbetriebe betrifft diese katastrophale Lage aktuell?

Ich gehe davon aus, dass etwa 20 Prozent unserer Betriebe von den Lockdown-Maßnahmen betroffen sind. Das bedeutet aber nicht, dass alle anderen Gewinner der Corona-Krise sind. Schon vor der Pandemie waren die Auftragsbücher zum Beispiel im Bau- und Ausbaugewerbe voll, sodass nicht die zusätzliche Zeit der Kunden maßgeblich für die Auftragslage ist. Und Tischlereien, die zum Beispiel im Messebau unterwegs waren, mussten sich nach neuen Geschäftsfeldern umschauen, um Umsatzausfälle zumindest in Teilen zu kompensieren. Von Gewinnern kann also keine Rede sein.

Nun bestimmt die Pandemie seit fast einem Jahr viele Bereiche des täglichen Lebens und der Wirtschaft. Hat sich in den Branchen, die gut ins Jahr 2020 gestartet waren, die Auftragslage mittlerweile eingetrübt?

Im Bau- und Ausbaugewerbe lag der Auftragsbestand zu Spitzenzeiten bei zwölf Wochen. Das ist nicht groß eingebrochen. Wer sein Badezimmer renovieren möchte, wird weiterhin auf einen Handwerker warten müssen. Eine Herausforderung für die Betriebe sind eher Fehltage der Mitarbeiter aufgrund der Kinderbetreuung während der Schulschließungen, Quarantäne-Fälle – vor allem bei Lehrlingen – oder der Krankenstand allgemein.

Zurzeit wird über ein Recht auf Homeoffice diskutiert, Politiker fordern Unternehmen auf, die Arbeit von Zuhause mehr zu ermöglichen, um Kontakte zu reduzieren. Im Handwerk ist das etwas schwierig.

Das Handwerk ist bereits sehr digital unterwegs und Aufgaben in der Verwaltung sind oft auch von Zuhause möglich. Dabei handelt es sich aber nur um einen Bruchteil der Arbeitsplätze in unserer Branche. Der Tischler braucht keinen Hobel mit nach Hause zu nehmen, der Kfz-Mechaniker keinen Schraubschlüssel. Da ist nichts mit Homeoffice. Es gibt viele Arbeiten, die von Zuhause gemacht werden können, aber aus Sicht des Handwerks können wir bei dieser Debatte nur die Stirn runzeln. Da braucht es andere Schutzmaßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. So lange es keinen kompletten Lockdown der Wirtschaft gibt, werden unsere Beschäftigten auch weiterhin in den Werkstätten und auf den Baustellen arbeiten.

Zu Beginn der Pandemie hatten viele Handwerksbetriebe Angst, dass sie in einen Liquiditätsengpass laufen. Welche Bilanz ziehen Sie heute – auch mit Blick auf all jene, die zum zweiten Mal schließen mussten?

Darüber, dass nicht nur im Handwerk, sondern insgesamt Betriebe schon zwei Tage nach dem ersten Shutdown vor Liquiditätsengpässen gewarnt haben, war ich entsetzt. Wenn ein etablierter Betrieb nicht vier Wochen Umsatzausfälle überbrücken kann, ist in der Vergangenheit etwas schiefgelaufen. Gerade im Handwerk hatte sich die Situation zwischenzeitlich relativiert. Mit dem zweiten Lockdown jedoch haben gerade erst in unserer Umfrage viele Betriebe die Liquidität wieder als eines der Top-Risiken gesehen. Um all jene, die jetzt wieder im Lockdown sind, mache ich mir ernsthaft Sorgen.

Es wird viel darüber diskutiert, dass die Corona-Hilfen von Bund und Ländern nicht bei denen ankommen, die sie dringend brauchen. Wie ist das im Handwerk?

Jeder vierte Betrieb im Handwerk hält Liquiditätshilfen für notwendig. Die Protestwelle unserer Betriebe, dass die Novemberhilfen erst jetzt ausgezahlt werden und die Dezemberhilfen noch gar nicht, ist bei uns jedoch noch nicht angekommen. Sicher ist aber: Auch etablierte Betriebe können einen zweiten Lockdown in so kurzer Zeit nicht ohne Hilfe wegstecken.

Haben die Betriebe Zugang zu den Hilfen, oder werden – ähnlich wie im Handel – Zugangskriterien nicht erfüllt?

Letzteres ist im Handwerk der Fall. Selbst die Friseure haben bei den ersten Hilfen nicht immer den notwendigen Umsatzrückgang von 60 Prozent erreicht. Man muss aber auch sagen: Ein Drittel der Betriebe sagt, dass kein Geld benötigt wird.

Begünstigt die Pandemie Schwarzarbeit in den Branchen, die nun zum zweiten Mal geschlossen sind? Über Friseure wurde und wird diskutiert.

Das sehe ich in der Region nicht.

Bislang war das Thema Fachkräftemangel im Handwerk ein großes Thema. Gilt das auch in der Pandemie?

Es wird derzeit nicht mehr so laut darüber gesprochen, aber dass wir einen Fachkräftemangel haben, ist unbestritten. Unsere Betriebe suchen weiterhin qualifizierte Mitarbeiter.

Eine Möglichkeit, dem Abhilfe zu schaffen, ist die Ausbildung. Leidet die aktuell?

Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist im vergangenen Jahr um 7,5 Prozent auf 2346 zurückgegangen. Das ist unter den Rahmenbedingungen ein guter Wert! Es ist nicht so, dass Ausbildungsplätze aufgrund der Pandemie reihenweise wegbrechen – dass Politiker, auch auf Bundesebene, dieses immer wieder behaupten, ist wirklich ärgerlich. Denn es wird den einen oder anderen abschrecken, sich überhaupt zu bewerben. Und die Zahl der Lehrlinge, die ihre Ausbildung in einem anderen Betrieb fortsetzen müssen, weil ihr Ausbildungsbetrieb in die Insolvenz gegangen ist, liegt bei uns im Kammerbezirk im einstelligen Bereich.

Der Großteil der Betriebe hat normal weitergearbeitet und das Handwerk bleibt krisensicher. Hatte das positive Auswirkungen auf das Image des Handwerks?

Leider nein. Und das verstehe ich nicht. Die Krisensicherheit – gerade im Vergleich zu anderen Branchen – müsste ein überzeugendes Argument sein. Es ist bedauerlich, dass das nicht besser rübergekommen ist. Eine Ausbildung im Handwerk ist eine gute Alternative zum Studium oder einer weiteren schulischen Ausbildung. Und sie öffnet weitere Türen.

Nina Kallmeier: Wie steht es um das Handwerk in der Region, Herr Möhle?, NOZ, 17.01.2021