NOZ-Interview von Nina Kallmeier vom 18.01.2022 Kaum Handwerker, steigende Preise

Osnabrücker Handwerkspräsident: Wer kein Stammkunde ist, hat schlechte Karten.

Reiner Möhle
Pentermann


„Unsere Baubetriebe sind bis unter die Haarspitzen voll mit Arbeit“, sagt Reiner Möhle, Präsident der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim im Interview. Warum er trotzdem Sorgenfalten hat.

Herr Möhle, das zweite Pandemie-Jahr ist vorbei, der Bau boomt und auch andere Gewerke haben volle Auftragsbücher. Wie steht es um das Handwerk in der Region?

Man muss sicherlich dazwischen unterscheiden wie es den Menschen im Handwerk geht und wie den Betrieben. Viele sind deprimiert, dass die Pandemie weiter anhält. Bei allen gesellschaftlichen Herausforderungen muss man aber sagen, dass wir im Handwerk betrieblich insgesamt gut durch die Pandemie gekommen sind. Allerdings gibt es auch rund 20 Prozent der Firmen, die von den Maßnahmen besonders gebeutelt waren und sind. Da denke ich zum Beispiel an die körpernahen Dienstleistungen, speziell Kosmetiker.

Der Staat ist mit vielen Hilfsprogrammen zur Seite gesprungen. Nicht jeder Betrieb kann jedoch die Hilfsgelder behalten. Sind Rückzahlungen von Soforthilfen derzeit ein Problem – ich denke gerade an die Friseure?

Das Friseurhandwerk ist insgesamt zufrieden mit dem vergangenen Jahr, da die Betriebe in den Zeiten, in denen sie arbeiten durften, gute Umsätze gemacht haben und gearbeitet wurde wie verrückt. Allerdings – Sie haben Recht: Viele müssen aufgrund dessen die Hilfen zurückzahlen. Für diejenigen, die kein Geld an die Seite gelegt haben, ist das ein Problem. Viele haben jedoch damit gerechnet und entsprechend vorgesorgt. Wobei man sagen muss, dass aktuelle Maßnahmen wie zusätzliche Tests erneut zu Umsatzeinbrüchen geführt haben. Und andere Branchen, wie manch ein Bäcker, haben erst gar keine Hilfen bekommen.

Ein Gewerk, das keine Hilfen brauchte, war der Bau.

Richtig, unsere Baubetriebe sind bis unter die Haarspitzen voll mit Arbeit. Von den rund 200 neuen Firmen im vergangenen Jahr ist auch ein Großteil dem Bau- und Ausbaugewerbe zuzuordnen. Allerdings sind das oft Einzelunternehmer.

Gerade im ersten Corona-Jahr sind viele Verbraucher Projekte in den eigenen vier Wänden angegangen. Lohnt es sich derzeit überhaupt, bei Firmen Anfragen zu stellen oder sollte man damit noch ein bisschen warten?

Wenn ich mir die Preissteigerungen so ansehe, sollte man nicht abwarten. Das ist schon eklatant, was da gerade läuft, und nicht immer berechtigt. Das Problem ist jedoch, das zurzeit grundsätzlich die Kapazitäten fehlen.

Liegt das an einem überproportional hohen Auftragsvolumen oder grundsätzlich zu wenig Handwerkern?

Es ist sicherlich eine Mischung aus beidem. Wobei das Baugewerbe seit Jahren Personal aufgebaut hat. Und dennoch gibt es nicht genug Fachkräfte und Nachwuchs.

Nun war es hinsichtlich des Nachwuchs in der Pandemie nicht gerade einfach sich als Betrieb vorzustellen und Auszubildende zu werben. Welche Branchen haben besonders große Probleme?

Grundsätzlich Berufsbilder, die keine Selbstläufer sind. Hinzu kommt: Schülerinnen und Schüler sind heute oftmals nicht sehr entscheidungsfreudig, wenn es um ihren Berufswunsch geht. Da nutzt der eine oder andere die Chance und geht erst einmal weiter zur Schule, bevor er eine Ausbildung beginnt. Richtig schwer haben es die Bäcker und die Fleischer – außer bei den Fachverkäufern. Das liegt auch an den Rahmenbedingungen.

Wie sieht es grundsätzlich beim Blick auf die Lehrlingszahlen aus?

Obwohl unsere Lehrlingszahlen insgesamt mit 6781 Azubis wieder über dem Vor-Corona-Niveau liegen, haben wir Probleme, junge Leute für das Handwerk zu begeistern. Wenn man sich nur mal den Bereich der Energietechnik anschaut – also der Bereich, der mit die Energiewende stemmen soll – dann haben wir dort bundesweit auf 100 freie Ausbildungsstellen 67 Bewerbungen.

Dabei häufen sich die Nachrichten zum Handwerkermangel. Eine bessere Werbung für einen zukunftsträchtigen Beruf können Sie doch eigentlich nicht haben. Woran liegt es, dass sich so wenige fürs Handwerk interessieren?

Natürlich, die Möglichkeiten, etwas zu werden, sind nie so gut gewesen wie zurzeit. Das Handwerk hat wieder goldenen Boden. Aber der Zeitgeist ist ein anderer und in der Wahrnehmung hat das Handwerk nicht den Stellenwert wie andere Berufe. Das liegt auch immer noch mit an Eltern und Lehrern, die keinen Bezug mehr zum Handwerk haben und Schülerinnen und Schüler in eine andere berufliche Richtung lotsen.

Dazu kommt nun, dass ein Investitionsstau in der Infrastruktur abgearbeitet werden muss und auch die Klimaziele erfordern unter anderem mehr energetisches Sanieren.

Was Politiker in Berlin beschließen, können die Handwerksbetriebe in der Fläche nicht leisten. Das ist für uns das beste Konjunkturprogramm, aber wir können es nicht umsetzen. Das ist utopisch. Doppelt so viele Brücken als gedacht sind marode und müssen ersetzt werden. Es sollen 400.000 Wohnungen gebaut werden. Es braucht eine Sanierung des Altbaubestands. Wer soll das denn machen? Das kommt in viel zu kurzer Zeit auf viel zu wenig Betriebe mit viel zu wenig Mitarbeitern. Wir schaffen das nicht. Und es ist ja nicht nur das Handwerk, das mehr Mitarbeiter braucht.

Und nun?

Tja, es braucht mehr Leute, die sich für das Handwerk interessieren. Und das schnell. Vor zehn Jahren lagen unsere Lehrlingszahlen um rund ein Drittel höher als heute. Das heißt, der jetzige Konjunkturanstieg kommt in einer Phase, in der die Ausbildungszahlen abflachen. Und das dicke Ende kommt ja erst noch in ein paar Jahren, wenn die Babyboomer-Generation in den Ruhestand geht und der demografische Wandel voll durchschlägt. Der Fachkräftemangel wird eher schlimmer als besser. Und über das fehlende Material haben wir noch gar nicht gesprochen.

Wie stark treffen fehlende Materialien das Handwerk?

Das ist ein großes Thema, ganze Sparten von Heizgeräten zum Beispiel sind zurzeit nicht lieferbar. Es gibt Haushalte in der Region, die seit September auf ihre neue Heizung warten. Das bedeutet nicht, dass die jetzt im Kalten sitzen, ich spreche von geplanten Erneuerungen. Aber auch wenn die Teile dann da sind, heißt es nicht, dass die Heizung sofort eingebaut werden kann.

Woran hapert es?

Ein verschobener Einbautermin bedeutet auch, dass die Firmen in ihrem vollen Terminkalender wieder einen freien Slot finden müssen. Da wären wir wieder beim Fachkräfte-Thema. Und hier sehe ich keine Besserung, im Gegenteil, die Rente mit 63 trifft viele Handwerksbetriebe hart. Noch härter als der Nachwuchsmangel. Und das bei vollen Auftragsbüchern. Darunter leiden private Haushalte, das Handwerk und die Industrie.

Wie geht es weiter?

Es wird eher früher als später darauf hinauslaufen, dass Handwerksbetriebe Entscheidungen fällen müssen, welche Aufträge sie noch ausführen können und welche nicht. Wir werden lernen müssen, ohne schlechtes Gewissen Nein zu sagen. In anderen Berufsgruppen wie zum Beispiel bei Ärzten sind längere Wartezeiten auf Termine immerhin schon lange gang und gäbe. Das bedeutet auch: Wer kein Stammkunde ist, wird künftig schlechte Karten haben.

NOZ-Interview von Nina Kallmeier | 18.01.2022, 11:30 Uhr | Link zum NOZ-Artikel